30 Jahre Privatisierung

Wie aus Grau Magenta wurde

15.01.2025

Zum 1. Januar 1995 wurde die Deutsche Bundespost privatisiert und in die drei Unternehmen Deutsche Telekom, Deutsche Post und Postbank aufgespalten. Wir haben in unser Archiv gegriffen und den Artikel zum 20. Jahrestag für euch rausgesucht:

 
Protest gegen die Aufspaltung


Zum 1. Januar 1995 wurde die Deutsche Bundespost privatisiert und in die drei Unternehmen Deutsche Telekom, Deutsche Post und Postbank aufgespalten. Die KOMM nimmt dies zum Anlass, einen Blick zurückzuwerfen. In den vergangenen 20 Jahren hat sich nicht nur der Telekommunikationsbereich entscheidend verändert, sondern auch die Arbeitswelt und die Gewerkschaft.

Die Deutsche Postgewerkschaft war eine der Gründungsgewerkschaften von ver.di im Jahr 2001. Wir werden einzelne Aspekte und ihre Folgen aus jetziger Sicht beleuchten.

 

 


Von Silke Leuckfeld

Die Deutsche Telekom ist heute ein international agierender Konzern. In den vergangenen Jahren wurden zahlreiche Unternehmensteile verkauft, geschlossen und/oder umstrukturiert – teilweise mehrfach und fast immer verbunden mit dem Verlust von Arbeitsplätzen. Durch die Privatisierung ist unter anderem die außergewöhnliche Situation entstanden, dass deutsche Beamt*innen für einen ausländischen Aktienkonzern arbeiten: Die Strabag übernahm am 1. Oktober 2008 die Deutsche Telekom Immobilien und Service GmbH (DeTeImmobilien) mit mehr als 6000 Beschäftigten, darunter auch Beamt*innen. Noch heute arbeiten rund 100 000 Beamt*innen für die Postnachfolgeunternehmen.

Die Bundesrepublik Deutschland ist auch heute noch größter Aktionär der Deutschen Telekom AG, obwohl das staatliche Aktienpaket seit dem Börsengang immer weiter reduziert wurde. Der Bundesbestand der Telekom-Aktien liegt bei 31,9 Prozent, davon werden 17,4 über die Kreditanstalt für Wiederaufbau gehalten. Der Rest befindet sich im Streubesitz. Zum Streubesitz zählen auch die Aktien, die – zum Teil animiert von der Telekom-Werbekampagne mit Manfred Krug – von Bürgern gekauft wurden. Die Aktie startete beim Börsengang mit 28,50 DM (14,57 Euro), kletterte zwischenzeitlich auf mehr als 100 Euro, um dann auf bis zu 8,42 Euro abzustürzen. Heute liegt sie bei rund 15 Euro. Durch alle Höhen und Tiefen des rauen Kapitalmarktes hindurch hat die Telekom aber daran festgehalten, einen Teil ihrer Gewinne an die Aktionäre in Form von Dividenden auszuschütten. 

 

„Neue fernmeldetechnische Kommunikationsmittel dürfen weder zur Spielwiese der Industrie werden, noch dem Profitinteresse ausgeliefert werden“

Ernst Breit, Vorsitzender der Deutschen Postgewerkschaft

„Neue fernmeldetechnische Kommunikationsmittel dürfen weder zur Spielwiese der Industrie werden, noch dem Profitinteresse ausgeliefert werden“, warnte der damalige Vorsitzende der Deutschen Postgewerkschaft (DPG), Ernst Breit, bereits 1979. Doch die große Stunde der Privatisierer schlug im Jahr 1982: Die sozialliberale Koalition unter Kanzler Helmut Schmidt wurde gestürzt. Die FDP saß auch in der neuen Koalition unter Kanzler Helmut Kohl am Kabinettstisch. Führende Kräfte der FDP hatten bereits unter Schmidt auf weniger staatliche Regulierung gedrängt. Im Jahr 1985 wurde von der konservativ-liberalen Bundesregierung eine „Regierungskommission Fernmeldewesen“ eingesetzt. Die Kommission sollte Vorschläge zur Neuordnung des deutschen Post- und Telekommunikationssektors unterbreiten. Mit dem stellvertretenden Vorsitzenden der Deutschen Postgewerkschaft (DPG), Albert Stegmüller, gehörte lediglich ein Gewerkschaftsvertreter der Kommission an, die ansonsten mit Vertretern aus Wirtschaft, Politik und Wissenschaft besetzt war. Damit war die Richtung vorgezeichnet, gewerkschaftliche Argumente und Vorschläge hatten keine Chance, in den Empfehlungen der Regierungskommission berücksichtigt zu werden.

„Sichert die Post – Rettet das Fernmeldewesen“, mit diesem Slogan kämpfte die DPG gegen die Privatisierung der Deutschen Bundespost. Während des laufenden Bundestagswahlkampfs rief die DPG am 4. Oktober 1986 zu einer Auftaktveranstaltung unter dem neuen Slogan auf. In Köln kamen 21000 Teilnehmer in die überfüllte Sporthalle. Dort sprachen neben dem DPG-Vorsitzenden Kurt van Haaren auch der DGB-Vorsitzende Ernst Breit und die ÖTV-Vorsitzende Monika Wulf-Mathies. Kurt van Haaren wehrte sich in seiner Rede gegen diejenigen, die den Eindruck erweckten, als sei das Postwesen „ein maroder Laden und obendrein seien 60000 bis 70000 Mann zu viel an Deck“.

 

„es soll und wird keine Privatisierung der Deutschen Bundespost geben"

Bundespostminister Christian Schwarz-Schilling auf dem 15. Ordentlichen DPG-Kongress

Bundespostminister Christian Schwarz-Schilling überraschte im November 1986 die Delegierten des 15. Ordentlichen DPG-Kongresses in Nürnberg. Er erklärte, „es soll und wird keine Privatisierung der Deutschen Bundespost geben“. Mitte März 1987 kündigte Bundeskanzler Helmut Kohl an, dass „die Bundesregierung das Fernmeldewesen neu strukturieren und Maßnahmen zu einer verbesserten Markteröffnung ergreifen“ werde. Noch vor dem Abschlussbericht der Regierungskommission wurden erste Empfehlungen bekannt: Danach sollte der Fernmeldezweig der Bundespost in „Telenetz“ und „Teledienst“ aufgespalten werden. „Telenetz“ sollte die Übertragungshoheit erhalten, „Teledienst“ die Telekommunikationsdienste im Wettbewerb mit privaten Dienstleistern erbringen.

In ihrem Abschlussbericht empfahl die Regierungskommission schließlich die Trennung von „gelber“ und „grauer“ Post. Dagegen stimmten in der Kommission der stellvertretende DPG-Vorsitzende und einziger Gewerkschaftsvertreter Albert Stegmüller und Peter Glotz (SPD). Verhindert werden konnte lediglich die Aufspaltung in „Telenetz“ und „Teledienst“. Einen Tag nach der Übergabe des Kommissionsberichts an den Bundeskanzler, protestierten am 16. September 1987 bundesweit mehr als 20000 Gewerkschafter*innen gegen die Pläne.

Dann wurde bekannt, was von den Worten von Bundespostminister Christian Schwarz-Schilling („es soll und wird keine Privatisierung der Deutschen Bundespost geben“) zu halten war: Er hatte bereits Wochen vor der Übergabe des Berichts einen Gesetzentwurf in Auftrag gegeben, der die Zerschlagung der Deutschen Bundespost in drei selbstständige Unternehmen vorsah. Postdienst, Telekom und Postbank sollten künftig selbstständig mit eigenen Vorständen und Aufsichtsräten nach betriebswirtschaftlichen Kriterien geführt werden.

Am 11. Mai 1988 verabschiedete das Bundeskabinett einen Gesetzentwurf (Poststrukturgesetz), der sich zwar in einigen Punkten vom Referentenentwurf unterschied, aber wesentliche Kritikpunkte der DPG weiterhin enthielt. Vergeblich hatte der DGB noch mit einer einstweiligen Anordnung versucht, diese Entscheidung abzuwenden. Die DPG rief die Beschäftigten zu einer Abstimmung unter dem Motto „Meine Stimme für die Post – gegen Zerschlagung und Ausverkauf“ auf. Das Ergebnis war eindeutig: An der Abstimmung nahmen 83,7 Prozent der Beschäftigten teil. Den Gesetzentwurf lehnten 355 522 Beschäftigte ab, dies waren 96,6 Prozent der abgegebenen Stimmen. Und auch die Bevölkerung lehnte die Privatisierung ab. Nach einer Umfrage des Instituts für angewandte So zialforschung im September 1988 lehnten 41 Prozent die Pläne der Bundesregierung ab, nur 18 Prozent der Befragten befürworteten sie, 41 Prozent machten keine Angaben. Durch die breite Ablehnung und anhaltende Proteste der DPG, sah sich Bundeskanzler Helmut Kohl gezwungen, selbst aktiv zu werden. Es kam zu einem direkten, fast zehnstündigem Gespräch mit Kurt van Haaren und seinen Stellvertretern. Die DPG-Spitze konnte dabei erreichen, dass die individuellen und kollektiven Schutzrechte der Beschäftigten erhalten bleiben und vor Änderungen Gespräche mit den Gewerkschaften geführt werden müssen. Am 20. April 1989 verabschiedete der Deutsche Bundestag das „Gesetz zur Neustrukturierung des Post- und Fernmeldewesens und der Deutschen Bundespost“. Am 12. Mai stimmte der Bundesrat zu, am 1. Juli 1989 trat das Gesetz in Kraft.
Anfang Mai erklärten der Hauptvorstand und der Gewerkschaftsrat der DPG die Aktion „Sichert die Post – Rettet das Fernmeldewesen“ für beendet. Die Zerschlagung der Deutschen Bundespost konnte nicht verhindert werden. Doch durch den entschiedenen Widerstand konnte der Schaden zumindest in Teilbereichen begrenzt werden.

 

Artikel aus KOMM 1/2025

 

Kommentar von Lothar Schröder, 2015 ver.di-Bundesfachbereichsleiter TK/IT, und Zeitzeuge der Zerschlagung der Bundespost:

 
Lothar Schröder

Gewinner und Verlierer

20 Jahre ist es her, dass Telekom und Post privatisiert wurden. Erst die Trennung von Hoheit und Betrieb, dann die Orientierung auf betriebswirtschaftliche Erträge, die Umwandlung in eine AG und schließlich der Börsengang. Das waren Etappen der Privatisierung der Telekom.

Die Bilanz nach 20 Jahren: Gewonnen hat – zumindest in fiskalischer Hinsicht – der Staat, der mit Verkaufserlösen, Frequenzversteigerungen und Dividendeneinnahmen die Staatskasse gewaltig aufgefüllt hat. Mehr als 80 Milliarden dürfte das gebracht haben. Gewonnen haben zunächst die Verbraucher, weil die Telekommunikationspreise seit über einem Jahrzehnt im rapiden Sinkflug sind. Jetzt werden manche Verbraucher zu Verlierern und der Infrastrukturausbau auf dem Land gerät ins Stocken. Auch die neuen Anteilseigner haben zunächst gewonnen. Wir erinnern uns an Aktienkurse der Deutschen Telekom von über 100 Euro in der Boomphase der New Economy. Von dort ging es bergab. Erst im letzten Jahr begannen die Kurse wieder signifikant zu steigen.

Verloren haben die Beschäftigten – seit Mitte der 90er-Jahre fast 140 000 Arbeitsplätze. Es gab Angriffe auf Konditionen, 21 große Umbaumaßnahmen im Konzern und der Druck aufs Personal ist gestiegen. Ohne Gegendruck von ver.di wäre im großen Stil ausgelagert, verkauft und entlassen worden und die Telekom wäre heute wahrscheinlich nur noch ein Rumpfgebilde.

Ohne unseren Streik hätte es in den Servicegesellschaften eine Kürzung der Einkommen um 30 Prozent und zusätzlich eine drastische Variabilisierung der Entgelte mit bis zu 40 Prozent Variable gegeben – bei längeren Arbeitszeiten. Ohne gewerkschaftliche Gegenwehr hätte es keine Kompromisse bei Standortschließungen gegeben, die Härten zumindest mildern, und auch die Löhne und Gehälter hätten nicht ein Niveau erreicht, das sich heute sehen lassen kann – trotz Privatisierung.

Die alte Postgewerkschaft und ihre Mitglieder haben die Privatisierung bekämpft. ver.di hat sich in privatisierten Bedingungen behauptet. Es ist gut, dass sich auch unter veränderten Verhältnissen so viele Menschen in der Telekom organisieren und es ist notwendiger denn je. Denn in privatwirtschaftlichen Aktiengesellschaften ist das Management vorrangig an Ertrag und nicht an Beschäftigtenfreundlichkeit orientiert.

Lothar Schröder

 

 
"Zusammenhalten und gestalten"

Buchtipp:

„Zusammenhalten und gestalten“


Der Band zeichnet die Geschichte der Deutschen Postgewerkschaft nach, mit einem Schwerpunkt auf dem Jahrzehnt vor der ver.di-Gründung. Eine lebendig geschriebene Quellenauswertung, ergänzt um Interviews mit beteiligten Gewerkschaftern wie Ernst Breit, Michael Sommer und anderen.

Die Deutsche Postgewerkschaft – lange Zeit eine berufsständisch ausgerichtete Beamtengewerkschaft – wandelte sich Anfang der 1970er-Jahre zu einer gesellschaftspolitisch engagierten Organisation, die Arbeitskämpfe nicht scheute, um ihren Forderungen Nachdruck zu verleihen.

Dabei beschränkte sie sich nicht auf Probleme der Entlohnung und Besoldung, der Arbeitszeit oder des Beamtenrechts, sondern setzte sich für eine Reform des öffentlichen Dienstes ein.

Ab den 1980er-Jahren hatte sie sich mehr und mehr der Deregulierungs- und Privatisierungspläne in den Bereichen Telekommunikation sowie Brief- und Postdienste zu erwehren. Später bildeten die Folgen der deutschen Einigung eine weitere Herausforderung, ebenso wie das Ringen um einen gewerkschaftlichen Zusammenschluss, der 2001 in die ver.di-Gründung mündete.

Im Vorwort schreibt Franz Treml, Vorsitzender der Stiftung Deutsche Postgewerkschaft: „Die Stiftung Deutsche Postgewerkschaft will mit der Herausgabe dieses Buches die erfolgreiche, selbstbewusste und stolze Arbeit der früheren DPG dokumentieren... Mit dem Neubeginn nach dem Zweiten Weltkrieg entstand am 29./30. Juni 1949 die Deutsche Postgewerkschaft (DPG) als Einheitsgewerkschaft für alle Beschäftigten der damaligen Post. 52 Jahre nach ihrer Gründung war die DPG ganz wesentlich an der Schaffung der neuen ,Vereinten Dienstleistungsgewerkschaft‘ ver.di im Jahre 2001 beteiligt – ein Neubeginn, um die gewerkschaftliche Stärke im Bereich der Post und Telekommunikation zu erhalten und auszubauen... Im Wissen darum, dass Gewerkschaften nie etwas geschenkt bekamen, sondern immer in der Auseinandersetzung mit dem Kapital die Interessen ihrer Mitglieder und der Beschäftigten durchsetzen mussten und müssen, wünschen wir ver.di viel Erfolg.“

„Zusammenhalten und gestalten“
Karl Lauschke
Von der traditionellen Beamtenorganisation zur streitbaren Gewerkschaft: Die Deutsche Postgewerkschaft bis zur Bildung von ver.di
Herausgegeben von der Stiftung Deutsche Postgewerkschaft
Mit einem Vorwort von Franz Treml
VSA Verlag, 144 Seiten | 2009 | EUR 18.80 | sFr 32.90
ISBN 978-3-89965-352-6