Erst im Dezember 2024 hatte der Arbeitgeberverband Bitkom eine neue Studie zum Fachkräftemangel in IT- und TK-Berufen veröffentlicht. Seine Warnung: Bis zum Jahr 2040 würden danach statt der von ihnen für 2023 errechneten 149.000 dann 663.000 IT-Fachkräfte fehlen. Dies hat Auswirkungen nicht nur auf die Wirtschaft, sondern auch auf die dort bereits Beschäftigten.
Von Silke Leuckfeld
Bei der Betrachtung des Fachkräftemangels stehen die Auswirkungen auf die Wirtschaft, aber selten diejenigen, die den Personalengpass auffangen müssen, im Fokus. Können in einem Betrieb Stellen nicht besetzt werden, bedeutet dies meist nicht, dass die Arbeit liegen bleibt. Häufig müssen die bereits dort tätigen Beschäftigten diese Lücken füllen - zusätzlich zu ihren eigentlichen Aufgaben.
So wurde gefragt
Doch was bedeutet diese Mehrbelastung, vor allem wenn sie über einen langen Zeitraum anhält, für die Betroffenen? Diese Frage hat der DGB-Index Gute Arbeit 2024 unter dem Titel „Fachkräftesicherung? Nur mit guten Arbeitsbedingungen!“ analysiert. Der Report basiert auf einer Zufallsstichprobe von 6.985 abhängig Beschäftigten, die in Deutschland arbeiten. Die Daten wurden im Rahmen der bundesweiten Repräsentativumfrage zum DGB-Index Gute Arbeit im Zeitraum von Januar bis April 2024 erhoben. Telefonisch befragt wurden Arbeitnehmer*innen mit einer wöchentlichen Arbeitszeit von mindestens zehn Stunden. Zu den "Engpassberufen" gehören unter anderem Pflegeberufe, Lehrer*innen und Erzieher*innen, Bauberufe, Berufskraftfahrer*innen, aber auch Softwareentwickler*innen.
Im Vergleich besser
Nach dem DGB-Index ist die Situation für die Beschäftigten in der Pflege, den Kitas, aber auch an Schulen wesentlich schlechter, als im IT-Bereich. Nach ihrer Selbsteinschätzung gaben mehr als die Hälfte der Befragten aus diesen Berufsgruppen an, wahrscheinlich nicht bis zur Regelaltersgrenze arbeiten zu können: Krankenpflege/Rettungsdienste zu 70 Prozent, Altenpflege 64 Prozent, Lehrtätigkeit an allgemeinbildenden Schulen 63 Prozent und Erziehung/Sozialarbeit 61 Prozent.
Besser, aber auch nicht gut, sieht die Selbsteinschätzung bei Beschäftigten der Elektrotechnik mit 24 Prozent und der technischen Forschung und Entwicklung mit 20 Prozent aus. In der Softwareentwicklung gehen elf Prozent der Befragten davon aus, dass sie ihre Arbeitsfähigkeit bis zur Regelaltersgrenze nicht erhalten können.
Anhaltend hoher Druck
Im Schnitt der befragten Berufe dauert der Personalmangel zu 58 Prozent 19 Monate und länger an. Ein bis anderthalb Jahre gaben sechs Prozent an, 18 Prozent sieben bis zwölf Monate und 17 Prozent einen bis sechs Monate. Als persönliche Folgen wurden zusätzliche Aufgaben (76 Prozent), höheres Tempo (60 Prozent), Überstunden (57 Prozent), Arbeitszeit anpassen (57 Prozent), Pausen ausfallen lassen (36 Prozent) und qualifikatorische Überforderung zu 30 Prozent genannt. Dies hat Folgen, die auch die Arbeitgeber*innen spüren. Um dem andauernden Druck zu entkommen, verlassen Beschäftigte den Arbeitsbereich oder kündigen sogar. In sehr hohem Maß hatten dies elf Prozent der Befragten in ihrem Arbeitsumfeld bereits erlebt, in hohem Maß sogar 28 Prozent.
Ab in die Teilzeit
Nahezu jede*r dritte Befragte (31 Prozent) ist in Teilzeit beschäftigt. Während die Teilzeitquote bei Arbeitnehmern 13 Prozent beträgt, ist mehr als die Hälfte der Arbeitnehmerinnen (52 Prozent) in Teilzeit beschäftigt. Aufgesplittet nach Berufsabschluss wird deutlich, dass vor allem Beschäftigte ohne berufsqualifizierenden Abschluss (46 Prozent), mit einer Ausbildung/Berufsschule (31 Prozent) in Teilzeit arbeiten. Aber auch mit einer Meister-/Technikerausbildung (23 Prozent) und mit (Fach-)Hochschulstudium (26 Prozent). Die Gründe sind vielfältig. Ins Auge fällt aber, dass die Betreuung von Kindern oder pflegebedürftigen Angehörigen von 56 Prozent angeführt werden. Davon sind 27 Prozent Männer und 64 Prozent Frauen (Differenz durch Rundung). 39 Prozent aller Teilzeitbeschäftigten geben an, die Belastung aus ihrer beruflichen Tätigkeit nicht in Vollzeit aushalten zu können. Zusammenfassend stellen die Autoren der Studie fest: „Spannt man den Bogen etwas weiter und fragt danach, welcher Anteil aller Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer aufgrund von Sorgearbeit (Kinder/Pflege) kürzer arbeiten, so zeigt sich: Bezogen auf alle Beschäftigten haben 33 Prozent aller Arbeitnehmerinnen, aber nur drei Prozent der Arbeitnehmer aufgrund von Sorgearbeit ihre Arbeitszeit verkürzt.“
Fazit
Wenig überraschend ist, dass besonders in der Pflege, für Lehrer- und Erzieher*innen die Situation dramatisch ist. Im Vergleich steht die Berufsgruppe Softwareentwickler*innen noch „gut“ da. Allerdings geht jeder und jede Zehnte davon aus, die eigene Arbeitskraft nicht bis zur Regelaltersgrenze erhalten zu können. In der Elektrotechnik fast jede*r Vierte und in der technischen Forschung und Entwicklung jede*r Fünfte. Als Selbstschutz wählen viele Beschäftigte den Jobwechsel, entweder innerhalb des Unternehmens oder sogar durch Kündigung. Sorgearbeit ist noch immer der Hauptgrund, um in die Teilzeit zu wechseln. Hier fehlen vielfach konkrete Unterstützungsangebote, auch durch die Unternehmen.
Diese Zahlen sollten Arbeitgeber*innen alarmieren.
Zum Download: DGB-Index Gute Arbeit Report Fachkräftesicherung
Bitkom Presseinformation "Mangel an Fachkräften droht sich zu verschärfen"