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ver.di-Allianz der Versorger gut gerüstet

25.05.2023

Die Delegierten des ver.di-Bundesfachbereichs Finanzdienste, Kommunikation und Technologie, Kultur, Ver- und Entsorgung wählten ihren neuen Vorstand für die nächsten vier Jahre.  

Von Karin Wenk

Diskussionsfreude, gegenseitiger Respekt, Wertschätzung, Kritik und vor allem Neugierde, mehr voneinander zu erfahren, Gemeinsamkeiten und auch Unterschiede auszumachen – all das prägte die erste Konferenz des gemeinsamen ver.di-Bundesfachbereiches Finanzdienste, Kommunikation und Technologie, Kultur, Ver- und Entsorgung in Berlin. Naturgemäß wurde viel gewählt: neue Gremien und Delegierte für den Gewerkschaftsrat und den ver.di-Kongress im September. So gerüstet geht es nun in die nächsten vier Jahre gewerkschaftlichen Miteinanders. 

Als „Chef“ des Fachbereiches und damit für den neuen Bundesvorstand von ver.di wurde der „alte“ Fachbereichsleiter Christoph Schmitz mit großer Mehrheit (95,7 Prozent) nominiert. Gewählt wird dann auf dem Gewerkschaftskongress im September in Berlin. Der ehrenamtliche Vorstand des Fachbereiches mit 57 Mitgliedern konnte sich bereits nach seiner Wahl noch am ersten Konferenztag konstituieren, neuer Vorsitzender ist Manfred  Kloiber (Vorsitzender der Fachgruppe Medien, Journalismus und Film).   

Gewerkschaft begleitet Einführung von KI 

Die Mitglieder aus der Informations- und Kommunikationstechnologie haben sich zu einer Fachgruppe zusammengeschlossen. Das diene der Ressourcenschonung, sei aber auch aufgrund des Verschmelzens von Themen und Fragestellungen sinnvoll, berichtete Constantin Greve. Dieser gelungene Prozess sei einher gegangen mit einer Neuausrichtung der Arbeit, bei der mehr Mitgliederorientierung sowie mehr Entscheidungs- und Beteiligungsmöglichkeiten für die Gewerkschafter*innen im Fokus stehen würden. Ein Highlight der letzten Jahre war die Begleitung der Einführung von KI-Systemen zum Beispiel bei IBM und der Telekom.  

Über Beteiligung und Dialog 

ver.di-Bundesvorstandsmitglied und Bundesfachbereichsleiter Christoph Schmitz plädierte in seiner „Bewerbungsrede“ für die Nominierung zum künftigen Bundesvorstand, für mehr Beteiligung und Dialog in der Arbeit mit den Mitgliedern und in der Ansprache von Menschen, die es für ver.di zu gewinnen gilt. „Der Dialog hilft uns auch, Impulse aufzunehmen, um gewerkschaftliche und tarifliche Fragen Guter Arbeit und guter Arbeitsbedingungen wieder intensiver und teilweise neu zu diskutieren. Es lohnt sich, darüber ins Gespräch zu kommen, warum viele Jüngere ihren Beruf nicht als zentralen Lebens­inhalt sehen“, sagte Schmitz. Statt die Haltung der jüngeren Generation als ungerecht gegenüber den Älteren zu finden, „müssen wir alles daransetzen, dass sich niemand kaputt arbeitet – egal ob jung oder älter“. Arbeitszeit sei dabei nur ein Thema. Im Alltag gehe es wieder mehr um Belastung, Gesundheit und Krankheitsquoten – oft als Folge eines zunehmenden Arbeits- und Fachkräftemangels. „Es geht um die bessere Vereinbarkeit von Arbeit und Privatleben, nicht nur für Jüngere in der Elternphase, nicht nur für Menschen mittleren Alters, wenn es um pflegebedürftige Angehörige geht, sondern auch für rentennähere Jahrgänge, für die es darum gehen kann, mit kürzeren Arbeitszeiten gesund in die Rente zu kommen.“

Organisationsgrad in den Betrieben entscheidend

Ein konkreter Arbeitsschwerpunkt für die nächsten Jahre ist die „Weiterentwicklung der kollektiven Betriebs- und Tarif­arbeit“. Mit großer Mehrheit verabschiedeten die Delegierten dafür einen Konzeptentwurf, der bis 2024 zur Diskussion steht. In der auf der Konferenz begonnenen Debatte ging es vor allem um den Punkt verbindlicher Absprachen zum gewerkschaftlichen Organisationsgrad in einem Unternehmen, bevor Tarifverhandlungen aufgenommen werden. Als Orientierungswerte werden im Papier zwischen 30 und 50 Prozent vorgeschlagen. Hier gab es durchaus Einwände, jedoch mehrheitlich Zustimmung. 133 Anträge lagen den knapp 200 Delegierten zur Beschlussfassung und Weiterleitung an den ver.di-Bundeskongress oder den Bundesvorstand des Fachbereiches vor. 

„Kampforganisation mit Herz“

„Warten auf Frank“, war auch eine Devise dieser Konferenz. Der ver.di-Vorsitzende verhandelte mit Bund und Kommunen über die Tarife für die 2,5 Millionen Beschäftigten des Öffentlichen Dienstes. Mit wenig Schlaf, aber dennoch aufmunternden und zuversichtlichen Worten im Gepäck sprach Frank Werneke am zweiten Konferenztag zu den Delegierten. „Wo verorten wir uns?“ in diesen Zeiten des Krieges und des Klimawandels, fragte Werneke. Mit vereinter Kraft, gemeinsam mit den Mitgliedern packe ver.di notwendige Dinge an. „Das tun wir – zumindest meist – strategisch klug, aber immer mit Leidenschaft und sind deshalb die Kampforganisation mit Herz“, so der ver.di-Vorsitzende. Derzeit entscheiden sich viele Menschen für ver.di. Ab Jahresbeginn bis zum 26. März seien es über 73 300 neue Mitglieder, davon über 10 000 in diesem Fachbereich – „ein Grund sich zu freuen, herzlichen Dank dafür“ (inzwischen sind es insgesamt mehr als 80 000, Ergänzung Red.). „Das ist die beste Entwicklung in unserer mehr als 20-jährigen Geschichte“, betonte Werneke. In der Zeit der Pandemie, die auch über gewerkschaftlichem Leben wie Mehltau gelegen habe, waren in ver.di einige Veränderungsprozesse durchzusetzen. „Der wichtigste Prozess von allen: die strategische Neuaufstellung in der Tarifpolitik“. Danach werden Tarifrunden anders als in der Vergangenheit angegangen. Tarifbotschafter*innen sorgten für eine unmittelbare Kommunikation zwischen den Menschen in den Betrieben und der Verhandlungsspitze. Es würden alle Wege genutzt, um in Tarifauseinandersetzungen eine unmittelbare Beteiligung von mehr Mitgliedern zu organisieren und weniger Stellvertreterpolitik zu betreiben. Ein großer Sprung sei zudem in Social Media gelungen. Hier ist ver.di mit Abstand die reichweiten-stärkste Gewerkschaft, selbst unter NGOs ganz vorn. Der Vorsitzende stellte die Betriebsratsgründung bei TikTok heraus, wo ver.di selbst auch auf der Plattform erfolgreich unterwegs sei.

Gemeinsame Gestaltungs­möglichkeiten in Europa

Am dritten Konferenztag wurde der Blick auf Europa ausgeweitet. Oliver Röthig (Regionalsekretär der UNI Europa) und Jan-Willem Goudriaan (Generalsekretär des Europäischen Gewerkschaftsverbandes für den Öffentlichen Dienst, EPSU) diskutierten mit Christoph Schmitz und den Delegierten zum Thema „Gute Arbeit europäisch gestalten“. 

Christoph Schmitz hob die Wichtigkeit der Zusammenarbeit der Gewerkschaften in europäischen Dachverbänden hervor. Über UNI Europa und EBSU habe man gemeinsame Handlungs- und Gestaltungsmöglichkeiten, etwa mit Blick auf das europäische Energiesystem der Zukunft oder wenn es um den Einfluss großer Plattformen wie Apple oder chinesischer Telekommunikationsanbieter gehe. Hier gelte es gemeinsam europäische Datenstandards zu sichern und umzusetzen.

Jan-Willem Goudriaan wies auf die gute Zusammenarbeit mit dem DGB und anderen Gewerkschaften hin, als es um die europäische Richtlinie zur Anerkennung von Long-Covid als Berufskrankheit ging sowie um die Maßnahmenpakete für Hilfen und Investitionsgelder, um der Wirtschaft wieder auf die Beine zu helfen. Gesundheits- und Arbeitsschutz seien bei den Gewerkschaften seit Langem auf europäischer Ebene gemeinsam im Fokus, berichtete Oliver Röthig. Wobei noch mehr getan werden müsse, damit „die Dienstleistungsjobs aus dem Schatten kommen“. Verhandelt werde derzeit ein Sozialpartnerabkommen zur Telearbeit, dass in europäisches Recht umgesetzt werden soll. Nationale Aktionspläne seien ein Weg dafür, so Röthig, bis hin zur ­Tarifbindung bei der öffentlichen Auftragsvergabe. Im Zusammenhang mit der Gestaltung einer anderen europäischen Wirtschaftspolitik benannte Jan-Willem Goudriaan einige soziale Fortschritte, darunter Gesetze zum Mindestlohn, zur Verringerung der Gender Pay Gap und Regelungen für Plattformarbeitende. Dennoch „liegen noch große Kämpfe vor uns“, da rechtsgerichtete Regierungen in einigen Ländern Gewerkschaftsrechte und erreichte Fortschritte bedrohten. 

Der Konferenzbericht musste für die KOMM gekürzt werden. Die Langfassung steht hier  https://kurzelinks.de/acap online.