Während in manchen Betrieben neben der klassischen Arbeit in der Betriebsstätte mehr Homeoffice stattfindet, verzichten andere Betriebe ganz auf Büros und lassen Beschäftigte von überall aus arbeiten. Das hat auch Folgen für die Betriebsräte. Im Zuge dessen stellen sich vermehrt Fragen, die die betriebliche Mitbestimmung bei der Einführung und Ausgestaltung solcher Arbeitsformen betreffen. Auf diese Fragestellung haben der Gesetzgeber und die Arbeitsgerichte bislang Antworten finden können, mit denen betriebliche Mitbestimmung bei der Umgestaltung der Arbeitsorganisation gewährleistet werden kann. Vereinzelt lassen sich jedoch auch Entwicklungen in der Organisation der Arbeitswelt erkennen, die es als fraglich erscheinen lassen, ob das Betriebsverfassungsgesetz mit dem darin zugrunde gelegten Betriebsbegriff noch geeignet ist, betriebliche Mitbestimmung zu gewährleisten.
VON NIELS OLE BEHDER
Viele Unternehmen haben in der jüngeren Vergangenheit aufgrund der entsprechenden pandemiebedingten Vorgaben gezwungenermaßen Möglichkeiten geschaffen, damit die Mitarbeitenden im Homeoffice ihrer Arbeit nachgehen konnten. Dies hat einerseits dazu geführt, dass viele Beschäftigte die Vorzüge einer solchen Arbeitsweise erkannt haben und in Zukunft nicht darauf verzichten wollen. Unternehmen wiederum haben erkannt, dass die Kosten für die Anmietung von teuren Gewerberäumen signifikant gesenkt werden können, wenn für einen Teil der Belegschaft keine Präsenzarbeitsplätze im Betrieb vorgehalten werden müssen. Flankiert werden diese Maßnahmen in mitbestimmten Betrieben regelmäßig durch den Abschluss von Betriebsvereinbarungen, in denen die Umsetzung von Homeoffice und Mobilem Arbeiten genau geregelt wird. Wichtig bei dieser Konstellation ist, dass eine Betriebsstätte regelmäßig aufrechterhalten bleibt, wenn auch in reduziertem Umfang. Daneben lässt sich in der Praxis auch beobachten, dass Arbeitgeber vollständig auf Betriebsstätten verzichten. Die Mitarbeitenden sollen hier von Heimarbeitsplätzen aus oder von anderen – mitunter frei gewählten Standorten – ihre Arbeitsleistung erbringen.
Betriebsratsarbeit ohne Betriebsstätte
Für Unternehmen bringt diese Variante sicherlich einige wirtschaftliche Vorteile mit sich. So entfallen insbesondere Mietkosten mitsamt allen Nebenkosten für Strom, Wasser, Reinigung. Mit Blick auf die Betriebsratsarbeit stellen sich jedoch eine Vielzahl zentraler Fragen. Wie soll etwa ein gewählter Betriebsrat seine Aufgaben ordnungsgemäß ausüben können, wenn grundlegendste Dinge fehlen wie ein Betriebsratsbüro, in dem Sitzungen und Besprechungen abgehalten werden sowie Betriebsratsunterlagen verwahrt werden können? Wo und wie sollen Betriebsversammlungen abgehalten werden, wenn es keinerlei Betriebsörtlichkeiten gibt? Die teilweise oder gar vollständige Entkopplung der Arbeitsleistung der Mitarbeitenden von einer Betriebsstätte ist damit aus Betriebsratssicht sicherlich als problematisch anzusehen. Deshalb ist zunächst zu klären, welchen Stellenwert die Erbringung von Arbeitsleistung an einer bestimmten Betriebsstätte generell unter betriebsverfassungsrechtlichen Gesichtspunkten hat. Hierfür ist eine Auseinandersetzung mit dem Begriff „Betrieb“ erforderlich.
Der Betriebsbegriff
Es gibt keine Legaldefinition des Betriebsbegriffs. Aus diesem Grund bleibt es der Rechtsprechung und der Lehre überlassen, die konstitutiven Merkmale eines „Betriebs“ im Sinne des Betriebsverfassungsgesetzes (BetrVG) zu bestimmen. Nach dem Bundesarbeitsgericht (BAG) ist ein „Betrieb“ als „die organisatorische Einheit anzusehen, innerhalb derer der Unternehmer allein oder zusammen mit seinen Mitarbeitern mit Hilfe sächlicher und immaterieller Mittel bestimmte arbeitstechnische Zwecke fortgesetzt verfolgt.“ Inwieweit ein Betrieb unter Zugrundelegung dieser Definition eine Betriebsstätte aufweisen muss, in der die Mitarbeitenden zumindest zu einem bestimmten Anteil ihrer Arbeit vor Ort nachgehen können, ergibt sich aus der Begriffsdefinition des BAG nicht.
Betriebsbegriff bei teilweisem Verzicht auf Betriebsstätte
Die Situation, dass ein Teil der Belegschaft seine Arbeitsleistung außerhalb einer Betriebsstätte erbringt, und wie sich dies mit dem Betriebsbegriff des BetrVG verhält, ist in jüngster Zeit bereits Gegenstand von Gerichtsentscheidungen im Zusammenhang mit dem Thema Homeoffice gewesen. Homeoffice stellt eine Variante des Mobilen Arbeitens dar. Unter Mobilem Arbeiten wiederum ist eine Arbeitsweise zu verstehen, die nicht an einen fest eingerichteten Telearbeitsplatz (§ 2 Abs. 7 Arbeitsstättenverordnung –ArbStättVO) oder an eine Arbeitsstätte (§ 2 Abs. 1 ArbStättVO) gebunden ist und die ein Tätigwerden von beliebigen Orten aus zulässt. Beim Homeoffice haben Beschäftigte dagegen lediglich die Möglichkeit, zeitweilig und nach Abstimmung mit dem Arbeitgeber im Privatbereich, regelmäßig in den eigenen Wohnräumen, unter Nutzung tragbarer IT-Systeme tätig zu werden. Liegt nun beim Homeoffice der Arbeitsplatz naturgemäß außerhalb der Betriebsstätte des Arbeitgebers, stellt sich die Frage, ob dann noch ein betrieblicher Arbeitsplatz vorliegt, der als Teil des Betriebs anzusehen ist. Dies wird überwiegend bejaht. Der Hintergrund dieser Rechtsauffassung ist darin zu sehen, dass der Betriebsbegriff des BetrVG nicht räumlich, sondern funktional verstanden wird. Aus diesem Grund bleiben Mitarbeitende weiterhin betriebszugehörig, wenn sie zwar außerhalb der Betriebsstätte tätig sind, jedoch weiterhin in die arbeitstechnische Organisation des Betriebs eingebunden sind.
Betriebsbegriff bei vollständigem Verzicht auf Betriebsstätte
Diese neue Entwicklung ist – soweit ersichtlich – noch nicht Gegenstand arbeitsgerichtlicher Entscheidungen gewesen. Als Vorüberlegung sollte man sich vor Augen führen, dass der vollständige Verzicht eines Unternehmens auf Betriebsstätten nicht den Ausschluss von betrieblicher Mitbestimmung nach dem BetrVG zur Folge haben darf. Anderenfalls bestünde hier die Gefahr, dass betriebliche Mitbestimmung gezielt unterbunden wird. Gerade in IT-lastigen Branchen, in denen ein flexibles und nicht standortgebundenes Arbeiten ohne Weiteres möglich ist, bestünde ein erhebliches Missbrauchspotenzial. Weiterhin ist zu beachten, dass soweit Beschäftigte in die arbeitstechnische Organisation eines Unternehmens eingeordnet sind, sie notwendigerweise auch betriebszugehörig sind. Denn werden Mitarbeitende beschäftigt, ohne dass es eine Betriebsstätte gibt, an der sie ihre Arbeitsleistung erbringen können, erfordert dies organisatorische Vorgaben durch den Arbeitgeber mitsamt einer organisatorischen Einbindung der Mitarbeitenden in Arbeitsprozesse.
Betriebsräte bestimmen in beiden Konstellationen mit
Nach allem ist festzuhalten, dass der teilweise Verzicht auf das Vorhalten von Betriebsstätten nicht dazu führt, dass die betriebliche Mitbestimmung nach dem BetrVG für die außerhalb einer Betriebsstätte tätigen Mitarbeitenden ausgeschlossen wird. Das gilt auch für Beschäftigte, die für Unternehmen tätig sind, in denen es überhaupt keine Betriebsstätten gibt. Betriebliche Mitbestimmung ist nicht zwingend von dem Vorhandensein einer Betriebsstätte abhängig. Der Betriebsbegriff des BetrVG ist flexibel interpretierbar. Abgrenzungsschwierigkeiten können sich jedoch ergeben, wenn es um die Zuordnung einzelner Beschäftigter zu mehreren denkbaren Betriebskonstellationen innerhalb eines Unternehmens ohne Betriebsstätte geht.
Folgeprobleme für die Mitbestimmung
Trifft ein Unternehmen die unternehmerische Entscheidung, vollständig auf Betriebsstätten zu verzichten, darf dies nicht dazu führen, dass die betriebliche Mitbestimmung erschwert oder gar unterbunden wird. Verzichtet ein Unternehmen auf den Unterhalt von Betriebsstätten, geht dies regelmäßig offenbar mit der Einstellung einher, dass auch keine Räumlichkeiten für Betriebsratsarbeit mehr zur Verfügung gestellt werden können/müssen. Eine rein virtuelle Betriebsratsarbeit ist aber bekanntlich (noch) nicht zulässig. Um beispielsweise den Vorrang der Präsenz bei Betriebsratssitzungen nach § 30 Abs. 2 Nr. 1 BetrVG erfüllen zu können, muss zwangsläufig eine für Betriebsratssitzungen geeignete Räumlichkeit vorgehalten werden. Das BetrVG sieht in diesem Zusammenhang ausdrücklich eine Ausstattung von Betriebsräten mit Räumen und Sachmitteln vor, die ein Gremium in die Lage versetzt, seine Arbeit sachgerecht erledigen zu können, § 40 Abs. 2 BetrVG. Die Kosten trägt in diesem Zusammenhang der Arbeitgeber, § 40 Abs. 1 BetrVG. An dieser klaren gesetzlichen Regelung ändert die Entscheidung eines Unternehmens, vollständig auf Betriebsstätten zu verzichten, nichts. Dies gilt auch für die Durchführung von Be-triebsversammlungen. Gibt es keine geeigneten betrieblichen Räume, die für eine Betriebsversammlung genutzt werden können, hat der Arbeitgeber zur Not geeignete Räume auf seine Kosten anzumieten, § 40 Abs. 1 BetrVG.
Verlässliche Rahmenbedingungen wünschenswert
Die Gewährleistung betrieblicher Mitbestimmung ist unter Berücksichtigung der Regelungen des BetrVG möglich, selbst wenn keinerlei Betriebsstätten zur Verfügung gestellt werden und sämtliche Mitarbeitende virtuell beschäftigt werden. Der Betriebsbegriff kann unabhängig von einer konkreten Betriebsstätte definiert werden. Betriebsräte, die mit einer Auflösung aktuell noch bestehenden Betriebsstätten konfrontiert werden, sind gefordert, einer Unterminierung der betrieblichen Mitbestimmung konsequent entgegenzuwirken.
Viele in diesem Zusammenhang auftretende Streitfragen werden gerichtlich überprüft werden müssen, woraus sich dann für die Zukunft hoffentlich verlässliche Rahmenbedingungen ableiten lassen.
Dieser Artikel erschien zuerst in ungekürzter Fassung in der Zeitschrift "Arbeitsrecht im Betrieb" im Bund-Verlag.
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