Seit Jahren unterstützt die ver.di-Bundesfachgruppe Informations- und Kommunikationstechnologie gemeinsam mit dem albanischen Büro der Friedrich-Ebert-Stiftung (FES) die jungen demokratischen Gewerkschaften in Albanien dabei, stärker und durchsetzungsfähiger zu werden. Vor wenigen Wochen hat ver.di dort einen Workshop zu digitalem Organizing angeboten.
Von Ado Wilhelm
Albanische Gewerkschaften arbeiten unter sehr schwierigen Bedingungen. Die Arbeitsgesetze, aber auch die Rechte der Beschäftigten liegen weit unter den deutschen Standards. Dort haben Gewerkschaften nur mit der Erlaubnis der Unternehmen Zutritt zu den Betrieben. Es gibt keine Betriebsräte, keine hauptamtlichen Gewerkschaftssekretäre und auch keine organisierten Vertrauensleutestrukturen.
Fast alle Gewerkschaften haben nur sehr wenige Mitglieder. Um das möglichst schnell zu ändern, werden sie von ver.di und der FES unterstützt. Anfang Oktober reiste Ado Wilhelm, Koordinator der Fachgruppe IKT für Internationale Angelegenheiten, gemeinsam mit den ver.di-Gewerkschaftssekretären Antje Dietrich und Dennis Dacke in die albanische Hauptstadt Tirana, um ihre Expertise in den von der FES organisierten Workshop zum Thema „Digitales Organizing“ einzubringen. Beide haben große Erfahrungen damit, unter anderem durch ihre Arbeit in dem Projekt Digital Organizing von ver.di. So konnten zum Beispiel bei Ryanair, Europas größtem Billigflieger, große Erfolge, was Bezahlung und Arbeitsbedingungen angeht, erzielt werden. Hierbei spielte das ver.di-Projekt, um die weit verteilt arbeitenden Beschäftigten anzusprechen und zu organisieren, eine tragende Rolle.
Über 20 Kolleginnen und Kollegen aus verschiedenen Gewerkschaften hatten sich neben der ver.di-Schwestergewerkschaft, der albanischen Gewerkschaft für Post und Telekommunikation (SPPT), zu dem Workshop eingefunden. Die Teilnehmer*innen kamen aus den Gewerkschaften für Bildung, Wissenschaft, Gesundheitswesen und der Industrie.
Praktische Beispiele gefragt
Antje Dietrich und Dennis Dacke machten zu Beginn des Workshops sehr deutlich, dass digitales Organizing nur ein Instrument aus dem gewerkschaftlichen Werkzeugkasten ist, mit dem die klassische Werbearbeit, also das Eins-zu-eins-Gespräch, ergänzt werden kann. Ergänzt und nicht ersetzt. Sie haben große Erfahrung mit dem Thema, hauptsächlich aus dem Bereich Luftfahrt. Auch dort sind die Beschäftigten nur sehr schwer zu erreichen. Kleine Gruppen, keine festen Arbeitsorte und häufig auch Sprachbarrieren. Im Vordergrund standen zu Beginn daher Tipps, Tricks und Praxisbeispiele, wie digitales Organizing sinnvoll und als Ergänzung der klassischen Instrumente eingesetzt werden kann. Dabei sei es sehr wichtig, lautete ein Hinweis von Dennis, bei Kontaktaufnahme durch Interessent*innen unbedingt innerhalb von 24 Stunden zu antworten. Verlässlichkeit schafft Vertrauen, so sein Credo. Ein großer Vorteil ist, dass die jungen Albaner*innen sehr affin sind, was soziale Medien und die Nutzung von Smartphones angeht. Diese Instrumente sind beim digitalen Organizing das „Arbeitszeug“.
Im Anschluss an die Theorie wurden Arbeitsgruppen gebildet, um direkt in die Praxis einzusteigen. Wen wollt ihr ansprechen, welches Unternehmen, welche Altersgruppen, welche Branche? Was soll passieren, was strebt ihr an? Einen Tarifvertrag, Werbung, eure Gewerkschaft bekannt machen? Die Arbeitsgruppen waren sehr kreativ und praxisbezogen. Konkrete Ziele wurden genannt, zum Beispiel 150 bis 200 neue Mitglieder in drei Monaten zu organisieren. Aus dem Kreis der Teilnehmer*innen wurde angeregt, der FES ein Feedback zu geben, was denn tatsächlich umgesetzt wurde. In der Schlussrunde wurde zudem der Wunsch geäußert, solche Workshops auch in Zukunft anzubieten.
Kurs wird gehalten
Die neue Leiterin der albanischen FES-Dependance, Katharina Hofmann, hat in einem ersten Austausch mit ver.di deutlich gemacht, dass sie den Kurs ihrer Vorgängerin Stine Klapper weiterführen will. Auch künftig sollen die albanischen Gewerkschaften in ihrer Weiterentwicklung unterstützt werden.
Die nächste Veranstaltung in Tirana fand am 22. Oktober 2024 nach KOMM-Redaktionsschluss statt. Frank Bsirske, ehemaliger ver.di-Vorsitzender und heutiger Bundestagsabgeordneter von Bündnis 90/Grüne, reiste dazu nach Albanien. Thema dieses Treffens war das Zusammenspiel von Gewerkschaften und Politik.