Im Rahmen der Unterstützung albanischer Gewerkschaften fand am Pfingstwochenende in Golem, einer Küstenstadt nicht weit von der Hauptstadt Tirana entfernt, ein zweitägiger Workshop statt. Fünfundzwanzig Teilnehmer*innen aus mehr als zehn Gewerkschaften, NGOs und einem gewerkschaftlichen Dachverband nahmen daran teil.
Von Ado Wilhelm
Der Workshop wurde von der Friedrich-Ebert-Stiftung (FES) in Albanien organisiert und von der ver.di-Bundesfachgruppe IKT inhaltlich unterstützt. Stine Klapper, Leiterin der FES Albanien, und Genci Lamllari, Koordinator für die gewerkschaftliche Arbeit, freuten sich besonders, dass auch Mitglieder von neu gegründeten Gewerkschaften teilnahmen.
Griff in die Werkzeugkiste
Vermittelt wurden als ein wichtiges Instrument aus der „gewerkschaftlichen Werkzeugkiste“ Befragungen von Mitgliedern und Beschäftigten, deren Sinn, Techniken und Methodik, aber auch Tipps und Tricks der Referent*innen. Steff Schulze, ver.di-Gewerkschaftssekretärin aus Nürnberg, reiste zusammen mit Ado Wilhelm, der für die ver.di-Bundesfachgruppe IKT die Zusammenarbeit mit der FES und den albanischen Gewerkschaften koordiniert, nach Albanien, um den inhaltlichen Part zu übernehmen.
Es wurde zunächst ausführlich über die methodischen Grundlagen einer gewerkschaftlichen Befragung gesprochen. Welche Zielgruppen sind für Befragungen, zum Beispiel zum Thema Tarifarbeit, wichtig? Ist das Ziel der Befragung eher das Erkennen von Mehrheitsverhältnissen oder eine konkrete Abstimmung zu einem Sachverhalt? Welche Auswirkungen hat die jeweilige Fragestellung auf die Antworten? Welche Fragearten gibt es und welche Fragestellungen eignen sich besonders? In welcher Frequenz können Befragungen erhoben werden? Welche konkreten Maßnahmen tragen zu einer hohen Beteiligung bei?
Schwierige Ausgangslage
Seit Jahren unterstützen die FES und die ver.di-Bundesfachgruppe IKT die jungen albanischen Gewerkschaften darin, sich zu etablieren, um stärker zu werden. Durch gute und transparente Gewerkschaftsarbeit soll das Image positiv verändert werden. Allerdings hat das jahrzehntelange Regime des damaligen Diktators Enver Hoxha bis heute einen negativen Nachhall und das Vertrauen in die Gewerkschaften ist noch immer beschädigt. Die Regierung tut ein Übriges, indem sie immer wieder durchblicken lässt, Gewerkschaften seien schwach und eigentlich überflüssig.
Beteiligung schafft Vertrauen
Umfragen sind ein wichtiger Baustein von demokratischen Prozessen und damit auch von gesellschaftlicher Relevanz in Albanien. Studien und Erfahrungen zeigen, dass Menschen, die nach ihren Anliegen befragt und an Entscheidungen beteiligt wurden, eher bereit sind, sich für diese Themen zu engagieren. Um es nicht nur bei dem theoretischen Teil zu belassen, wurde das Gehörte auch gleich in praktischen Übungen umgesetzt. In Arbeitsgruppen wurden erste Überlegungen zur Umsetzung in den jeweiligen Betrieben diskutiert und ausgearbeitet. Die Anlässe sind in den einzelnen Bereichen völlig unterschiedlich. Die SPPT, die albanische Schwestergewerkschaft von ver.di, ist zuständig für den Callcenter-Bereich und die Telekommunikationsbranche. Sie hat die Arbeitsbedingungen ganz oben auf der Agenda, die Gewerkschaft der Ölarbeiter hingegen mehr den Bereich Sicherheit und Arbeitsschutz. Beschäftigte im Bildungsbereich und im Gesundheitswesen wiederum klagen über hohe Belastungen und suchen nach Wegen, hier Abhilfe zu schaffen. Alle Teilnehmer*innen waren sich einig, dass sie mehr Stärke und Durchsetzungsvermögen brauchen, um die jetzigen Bedingungen zu verbessern. Ein Thema am Rande ist die künftige Bildung von Betriebsräten, die es in Albanien bisher nicht gibt.
Pläne für die Zukunft
Im September soll digitales Organizing in einem eintägigen Workshop behandelt werden. Im Oktober geht es dann in einem Politiktalk um den Stellenwert von Gewerkschaftsarbeit im politischen Raum. Als Referent hat Frank Bsirske zugesagt, ehemaliger ver.di-Vorsitzender und heute Bundestagsabgeordneter von Bündnis 90/Die Grünen. Von den Teilnehmer*innen wurde für künftige Workshops als Thema die Vorbereitung und Durchführung von Tarifrunden gewünscht. Die FES und ver.di planen zudem für das kommende Jahr, das Thema Stärkung und Ausbau von Gewerkschaftsrechten auf die Agenda zu nehmen.